Der Saunawärter

Als kleines Mädchen hat mein Vater mich manchmal mit in die Sauna genommen.Vielleicht ist das im FKK-Land Deutschland ja was relativ Normales, aber etwas befremdlich war es damals schon für mich. Mein Vater, das muss man dazu sagen, war und ist ein etwas schroffer Typ, der sich über die soziale oder pädagogische Verträglichkeit seines Handelns eher wenig bis zu gar keine Gedanken macht. Eine leichte Form des Asperger Syndroms vermuten meine Schwester und ich bei ihm schon lange. In der Sauna habe ich meinen Vater damals oft verloren, da die Kabinen mir zu heiß waren und ich mich lieber im Nichtschwimmerbecken aufhielt, wo ich anderen Familien beim Wasserballspielen zusah und vor mich hinplantschte. Wenn mir fad wurde, ging ich meinen Vater suchen und riss eine nach der anderen Saunakabine auf: "Papa?!" rief ich. Die nackten schwitzenden Männer antworteten mir aus der Dampfwolke, die sie umgab, im Chor "Hier gibt's keinen Papa". Mein verloren gegangener Vater sagte übrigens selbst über sich: "Mein Name ist Peter, von Beruf bin ich Papa." Dabei lachte er, als habe er gerade einen sehr originellen Witz gemacht. Heute singt mein Vater im Chor, geht alleine auf Motorradreisen und hat zu seinem sechzigsten Geburtstag, obwohl er soweit ich weiß außer ein paar Saufkollegen so gut wie keine Freunde hat, 100 Leute eingeladen.
Obwohl ich keine wirklich romantischen Erinnerungen an die Sauna habe, bin ich letzte Woche nach über zehn Jahren doch hin, weil es endlich mal wieder geschneit hat und ich wissen wollte, wie es dort so ist, als inzwischen erwachsene Frau:

So um die 90 Grad hat es und es knistert gewaltig, das Zedernholz verdampft auf Hochtouren, über mir schwitzende nackte Körper. Ein dicker Türke mit Schnauzer, eine durchtrainierte Frau im Yogi-Sitz, ein blässlicher Mann mit schütterem Haar, Tattoos und dicker Silberkette sowie eine zierliche Japanerin, auf dem Rücken liegend, die Beine aufgestellt. Ich beobachte mal wieder, anstatt mich der Entspannung dieser zwiespältigen Vergnügung des Saunierens hinzugeben. Und dann verstoße ich auch noch gegen die peinlichen Regeln des Thermalbads, habe meine Füße nicht auf das Handtuch gelegt, sondern nur den Po. Der Saunawärter reißt die Türe auf, es entsteht eine dicke Dampfwolke. "Füße aufs Handtuch!" Er wartet, bis ich das Handtuch adäquat platziert habe, dann zieht er Leine. Zehn Minuten später will ich mich abkühlen. Ein eiskaltes Becken mit brunnenartiger Formung hat es mir angetan, gerade will ich das schmale Treppchen hinuntersteigen, da erwischt mich wieder der Saunawärter. Er muss es auf mich abgesehen haben, denn es ist proppenvoll im Thermalbad. An den Fußbäderstellen findet man schon keinen Platz mehr, eine Reihe von Männern aus allen Altersgruppen sitzt mit hängenden Schultern auf Hockern und lässt abwechselnd heißes und kaltes Wasser einlaufen, um ihre käsweißen Füße zu durchbluten. "Hallo, erst duschen". Ich mache schnell kehrt und gehe kurzerhand raus in die Kälte, Schnee liegt auf dem Weihnachtszirkuszelt, vom Thermalbad aus hat man Ausblick auf die Bad Cannstatter Umgebung, meine Füße frieren beinahe fest. Ich rette mich weg vom Saunawärter in die finnische Sauna, eine Bullenhitze, dafür die größte der Saunen, die das Bad zu bieten hat. Ein alter Mann sitzt dort, er trägt eine Brille, er muss eine hohe Dioptrin haben, denn mir entgeht nicht, wie er mit seinen gigantischen Pupillen erst zu mir schielt und dann zu einem jungen hübschen Südländer eine Stufe unter mir. Irgendwann wird es mir wieder zu heiß und ich stürze erneut aus der Sauna in die Landschaft der Minusgrade. Irgendwie schaffe ich es, meinen Badeanzug vor dem Salbei-Dampfbad liegen zu lassen. Ich tapse zum Hallenbad, ein kleines Mädchen wird von seinem Vater im Nichtschwimmer-Becken in die Luft geworfen und schreit dabei wie am Spieß. Ich will zum Sitzbad, Kochtopf wird das Becken genannt. Ich finde kaum einen Platz zwischen den blubbernden Fleischhaufen, deren Rümpfe in einer Runde angeordnet sind. Der Kochtopf ändert seine Farbe von rot über lila und blau zu grün. Ich lasse das Handtuch fallen und damit auch die Hüllen. Alle starren mich an. Ich bin nicht mehr in der Sauna. Vor lauter Überhitzung habe ich vergessen, dass hier Bekleidungspflicht ist. Aus irgendeinem Grund kommt der Saunawärter gerade die Treppen vom Thermenrestaurant herunter, er hält eine Currywurst mit Pommes in den Händen. Er sieht mich und ich ihn. Schnell schlinge ich mir das Handtuch um, aber zu spät. Er hat meinen groben Faux pas bereits bemerkt. "Badeanzug an!" sagt er laut. Ich fühle mich in meiner reihenweisen Missachtung der Bade- und Saunierregeln beinahe wie ein Perverser und renne schnell zu den Duschkabinen, wo ich endlich ungestört bin und mich der zwiespältigen Vergnügung einer halbstündigen Wechseldusche hingebe. Das Bad verlasse ich schließlich mit hochrotem Kopf, meine Haare sind vom Chlor völlig verknotet und auf meiner Stirn sind dank Dampfbäder Pickel gereift.

Ich stapfe durch den Schnee und denke mir, dass die Sauna vielleicht einfach noch nie etwas für mich gewesen ist.

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